Der Luchs ziert in Südwesteuropa Brötchentüten, Würfelzucker und Verkehrsschilder. Sein Lebensraum sind die mediterranen Buschwälder, zu denen die Korkeichenbiotope gehören – die artenreichsten Landschaften Europas. Leider findet man die Iberischen Luchse auch auf der roten Liste der bedrohten Arten – und zwar ganz oben. Dank intensiver Schutzbemühungen ist für die Raubkatze ein Licht am Ende des Tunnels erkennbar.

Der Iberische Luchs, auch Pardellluchs genannt, gilt als „vom Aussterben bedroht“. Kein Wunder, denn mit zuletzt 319 gezählten Exemplaren ist er eine der seltensten Raubkatzen der Welt. Trotzdem ist die Zahl ein Erfolg. Vor einem Jahrzehnt wurden nicht einmal mehr 100 Tiere gezählt.

Die kleinste der vier Luchsarten der Welt ist kurzhaariger, leuchtender gefärbt und vor allem viel seltener als ihre nordischen Verwandten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die Tiere vor allem im Süden der Iberischen Halbinsel weit verbreitet – und ein beliebtes Jagdobjekt. Die Spanier zogen den Katzen jahrzehntelang erbarmungslos das Fell über die Ohren, um daraus Mäntel, Handschuhe und Fußwärmer zu fertigen. Andere Pardellluchse wurden ein Opfer ihrer einseitigen Ernährung. Die iberischen Pinselohren fressen fast ausschließlich Wildkaninchen. Als der Bestand der Wildkaninchen nicht nur durch schießfreudige Hobbyjäger, sondern zusätzlich durch mehrere Virusepidemien extrem schrumpfte, stand der Iberische Luchs um die Jahrtausendwende mit einer Samtpfote im Grab: 94 Exemplare, verstreut auf zwei isolierte Gruppen im Nationalpark Coto Doñana und der Sierra Morena, waren der kümmerliche Rest einer einst weit verbreiteten Spezies.

Als letzte Rettung setzten die zuständigen Behörden auf die Nachzucht in Gefangenschaft. Heute gibt es vier Aufzuchtstationen, drei in Spanien und eine in Portugal. Zunächst wurden etwa 60 Tiere in den Gehegen aufgenommen. Meist verletzte Tiere, die in freier Wildbahn kaum Überlebenschancen gehabt hätten. Bald bekamen die Katzen-WGs Zuwachs: Nachwuchs aus Mehrlingswürfen, verletzte oder verlassene Katzenbabys. Denn in der Natur kommen bei Mehrlingsgeburten meist nur ein oder zwei der Neugeborenen durch. Obwohl Luchse im Prinzip fortpflanzungsfreudige Tiere sind, mussten die Naturschützer im „Centro de Cría de Acebuche“, der ältesten der Zuchtstationen, drei Jahre warten, bis sich dort Nachwuchs einstellte. Die Geburt von Brezina, Brisa und Brezo im Frühjahr 2005 war eine Sensation.

Doch die Freude hielt nicht lang. Am 44. Tag passierte es: Brezo und seine Schwester Brezina verbissen sich bei Rangkämpfen ineinander. Brezina starb, ihr Bruder überlebte schwer verletzt. Der Zwischenfall verdeutlichte, wie wenig man bis dahin über die Luchse wusste. Etwa nach sechs Wochen klären die Geschwister die Hackordnung untereinander.

Erfahrenen Luchsmüttern gelingt es meist, ihren Nachwuchs zur Räson zu bringen, bevor die Rangeleien tödlich enden. Nach dem Vorfall intensivierte man die Überwachung der Luchse. Kameras verfolgen seither die Katzen auf Schritt und Tritt. Jede Auffälligkeit, wann sie schlafen, wie sie jagen und wie viel sie fressen, wird akribisch registriert. Im äußersten Notfall greifen die Biologen ein oder versorgen verletzte Tiere. Nach der kritischen sechsten Woche ist die Hierarchie geklärt, das Zusammenleben verläuft danach meist unproblematisch.

Auf Brezo, Brisa und Berezina folgten viele weitere Geburten. Bis 2013 erblickten allein in Acebuche 65 junge Luchse das Licht der Welt. Insgesamt wurden 160 Luchsbabys in Aufzuchtstationen geboren. Die Biologen achten peinlich genau darauf, die richtigen Tiere miteinander zu verkuppeln, um den Genpool möglichst groß zu halten. Gerne bringt man dabei die dichter gefleckten Tiere aus der Sierra Morena mit den helleren Exemplaren aus der Do˜nana zusammen.

Eine Familienzusammenführung, die unter natürlichen Gegebenheiten kaum mehr möglich ist. Ihre Heimatregionen liegen mehrere 100 Kilometer voneinander entfernt. Zwar könnten die Tiere diese Strecke zurücklegen, aber die Straßen und Zäune kann kaum ein Tier schadlos überwinden. 2012 begann man in der Do˜nana mit der Auswilderung. Gezielt wurden in den bestehenden Luchsgebieten Tiere ausgesetzt. Gleichzeitig identifizierte man neue Gegenden, in der Nähe von Córdoba und Jaén zum Beispiel, in denen Luchse überleben können. Mittelfristig sollen sie nicht nur in Andalusien und in der Extremadura eine Heimat finden. Auch Kastilien ist ein traditionelles Luchsland.
Gelingt die „Reconquista“ der Luchse?

Doch die „Reconquista“, die Rückeroberung der Iberischen Halbinsel, ist kein Spaziergang. Mehr als die Hälfte der freigelassenen Tiere schafft es nicht, dauerhaft in Freiheit zu überleben. Noch immer enden viele Luchse an der Stoßstange eines Wagens oder ertrinken in einem Bewässerungsteich der sich ausbreitenden intensiven Landwirtschaft. Und noch immer werden Luchse illegal geschossen. Kürzlich wurde ein Halsband eines besenderten Luchses auf einer Müllhalde entdeckt. Vorfälle wie diese zeigen, dass auch die Menschen in den betroffenen Gebieten erst wieder lernen müssen, mit dem Luchs zu leben. Das bedeutet, den Tieren Raum zu lassen – und eine ausreichende Zahl Kaninchen. Immerhin: Die Zahl der Iberischen Luchse nimmt zu – ein beachtlicher Erfolg.

Doch nur wenn es gelingt, neue Infrastruktur-Projekte im Einklang mit der Natur zu realisieren, landwirtschaftliche Flächen zu verlagern, besonders gefährliche Straßen stillzulegen und auf den einen oder anderen Bau zu verzichten, kann die „Reconquista“ durch den Iberischen Luchs gelingen.

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